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DER BLUES-GUSTL Eine Wiener Legende von Richard Weihs Edition Aramo

DER BLUES-GUSTL Eine Wiener Legende von Richard Weihs Edition Aramo

August Zeliborsky war in den Siebziger- und Achtziger-Jahren unter seinem Künstlernamen "Blues-Gustl" für die Wiener Subkultur-Szene ein Begriff: Nicht nur als begnadeter Blues-Gitarrist und Sänger, sondern auch als politisch engagierter Liedermacher. Nur sehr wenig war aber bisher über seine persönlichen Lebensumstände bekannt. Wenn Sie sich fragen, wie der Blues-Gustl wirklich war und was wohl aus ihm geworden sein mag: Diese bewegende Biografie gibt Ihnen schonungslos und unverblümt Antwort!

Dass manche in Wien ein besonderes Blues-Feeling haben, ist mir eine sehr sympathische These. Die Geschichte vom Blues-Gustl bestätigt diese überzeugend. Exemplarisch sowohl der Protagonist als auch der Autor, der ihm mit dieser Biografie ein Denkmal setzt. Verwandtschaft zwischen den beiden darf vermutet werden.Peter Henisch


Covergestaltung: Wolfgang Hametner


Ausgezeichnet mit einer Buchprämie der Literaturabteilung in der Kunstsektion des Bundeskanzleramtes

Renzensionen (Auszug):


Dass manche in Wien ein besonderes Blues-Feeling haben, ist mir eine sehr sympathische These. Die Geschichte vom Blues-Gustl bestätigt diese überzeugend. Exemplarisch sowohl der Protagonist als auch der Autor, der ihm mit dieser Biografie ein Denkmal setzt. Verwandtschaft zwischen den beiden darf vermutet werden.

Peter Henisch


Richard Weihs malt ein breites Sittenbild von zwei Jahrzehnten der grün-roten Alternativszene Wiens mit einigen ihrer Skurrilitäten. Er begleitet über viele Jahre seinen schwierigen, zuletzt nur noch vegetierenden Freund, erwarb sich profunde Blues-Kenntnisse und schrieb mit viel Herzblut diese Geschichte, die bei aller Tragik auch sehr unterhaltsam ist.

Frithjof Kammerer (Bücherschau)


Die witzig-traurige Geschichte eines typischen musikalischen Protestlers jener gar nicht so guten alten Zeit, der sich überall ein bissl engagiert und doch nie ganz groß rauskommt. Ein abenteuerliches Leben wie auf einer Hochschaubahn von einem, der überall mit dabei ist und doch stets gegen den Strom schwimmt (und letztlich darin untergeht).

Gerald Grassl (Augustin)


In nahezu genialer Art und Weise versteht es der Wiener Blues-Musiker Richard Weihs, in seinem Debütroman den Aufstieg und Fall des August Zeliborsky in die Geschehnisse und Ereignisse der 70er- und 80er-Jahre zu betten. Ein Muss für alle Musiker, Nostalgiker sowie alle, die einfach gerne zu einem guten Buch greifen.

Wolfgang Kühn (Kulturtipp)


Der Weihs'sche Stil zeichnet durch flapsig formulierten Humor aus, liest sich flott und unanstrengend und führt von der Oberfläche direkt in die Wiener Beisl-Szene der 70er und 80er Jahre. Greifbar, spürbar, zum Glück aber geruchlos. Das Buch kippt vom ausgelassenen Lebensgefühl des Blues-Musikers ansatzlos in die Tragödie desselben, und selbst die humorvollen Ansätze wirken von Seite zu Seite trauriger und unheilvoller. Dort, wo der Humor endet, berührt das Buch umso mehr, die Story gewinnt noch mehr an Gehalt und Richard Weihs schafft den Spagat des tragisch Endenden mit Bravour. Verfilmenswert!

Manfred Horak (Jazzzeit)


Weihs gelingt es, in fließender, unkomplizierter und dennoch keineswegs trivialer Sprache die spezifische Atmosphäre jener Generation retrospektiv lebendig werden zu lassen.

Dietmar Hoscher (Concerto)


Richard Weihs fühlt und füllt sich hinein, wie es nur einer kann, der die formidable Form seines eigenen Lebens niederschreibt und manchmal auch dankbar ist, dass es für ihn nicht ganz so "bluesig" gelaufen ist. Danke für dieses Buch!

Karl Weidinger (Uhudla)

Leseprobe

DER BLUES-GUSTL


Eine Wiener Legende


Erstes Kapitel: Jazzland


Ich erinnere mich noch ganz genau daran, wie ich den Blues-Gustl kennen gelernt habe: Es war an einem feucht-kühlen Herbstabend in den frühen Siebziger-Jahren, als ich gespannt und erwartungsvoll die Stufen zu jenem Keller unterhalb der Ruprechtskirche hinunter stieg, in dem sich der damals einzige Jazzclub Wiens befand. Als spätpubertärer Blues-Enthusiast hatte ich schon seit vielen Wochen jenem Ereignis entgegengefiebert, das für mich zweifellos das Konzert des Jahres werden sollte: Der legendenumwobene einarmige Blues-Pianist Cripple Clarence Clayton trat im "Jazzland" auf!


Und doch war es nicht der für sein hohes Alter überraschend vitale Blues-Veteran, der mich an jenem denkwürdigen Abend am tiefsten beeindruckte, sondern ein ganz junger Bursche, kaum älter als ich, der zwischen den Sets des Altmeisters als Pausenfüller auftrat: Ein gewisser August Zeliborsky, der bald als "Blues-Gustl" in der Wiener Szene bekannt werden sollte. Ich war total fasziniert: Da saß ein schmächtiger Kerl vor mir auf der engen Bühne, bearbeitete hingebungsvoll seine zerschrammte Gitarre, stampfte mit beiden Füßen schwer den Takt und sang dazu mit einer Intensität, die mir eiskalte Schauer über den Rücken trieb.


Seine helle, schneidende Singstimme drang wie ein scharfes Messer durch den dichten Zigarettenqualm des Lokals - und mich traf sie mitten in's Herz! Mit einem Mal war mir, als kämen diese harschen Töne gar nicht aus dem schmalen Brustkorb des jungen Musikers da vorne, sondern von weit, weit her: Aus den trüben Sümpfen Lousianas vielleicht oder dem tiefsten Mississippi-Delta. Und auch aus einer anderen Zeit schien mir diese Stimme zu stammen, weit älter als der Grünschnabel, durch dessen Kehle sie sich ihren Weg in die verrauchte Luft eines Wiener Kellers bahnte.


Auch der unvergleichliche Cripple Clarence Clayton dürfte von der jungen Blues-Reinkarnation ziemlich beeindruckt gewesen sein, denn für die Zugaben holte er den Gustl auf die Bühne und gemeinsam intonierten sie dann etliche Standards so hinreißend, dass sogar hart gesottenen Blues-Puristen heiße Tränen der Rührung in ihre Vollbärte kullerten. Und beim abschließenden "Midnight Special" grölten alle dermaßen authentisch mit, dass man fast hätte glauben können, eine Kolonne von Kettensträflingen einer texanischen Prison-Farm habe Zuflucht im "Jazzland" gefunden.


Später an der Bar kam ich dann unversehens neben dem Gustl zu stehen und ich konnte nicht umhin, ihm meine zutiefst empfundene Anerkennung für seinen urig-archaischen Vortrag auszusprechen. Er reagierte vorerst eher zurückhaltend auf mein dickes Lob, und wandte sein spitzes Mausgesicht mit den hellbraunen Strubbelhaaren gleich wieder von mir ab. Als ich mich dann aber als Spezialist outete, indem ich ganz beiläufig die Namen einiger obskurer Blues-Artisten fallen ließ, taute er jedoch schnell auf - und schon bald waren wir in eine hitzige Diskussion verstrickt, betreffend die musikalischen Schwächen und Stärken längst verblichener schwarzer Gitarristen.


Diesem angeregten Fachgespräch sollten dann im Lauf der nächsten Jahre noch viele ähnliche folgen. In den frühen Morgenstunden schließlich tauschten der Gustl und ich Telefonnummern und Adressen aus, um unsere Plattensammlungen zu vergleichen. Und schon wenige Tage später saß ich in Gustl's Jugendzimmer in der elterlichen Wohnung und war völlig baff: Ich war von seinen Plattenschätzen einfach überwältigt! Unter anderem besaß er sogar beide Robert Johnson-LPs - und die waren damals in Wien praktisch nicht zu bekommen!


Übrigens: Die Wohnung seiner Eltern war ein durchaus geräumiges Altbau-Apartment im gutbürgerlichen achten Wiener Gemeindebezirk und keineswegs jene enge Arbeiterwohnung in einem abgewohnten Simmeringer Gemeindebau, welche der Gustl später als den harten Hort seiner Kindheit kolportieren sollte. Diese heruntergekommene Gemeindewohnung hat er einfach erfunden, genau so wie seine angebliche proletarische Herkunft, und zwar nur deshalb, um sich so ein blues-trächtiges und politisch stimmiges Image zu verpassen.


Das bürgerliche Milieu, dem er entstammte, war ihm aber nicht nur aus ideologischen Gründen verhasst. Der Hauptgrund dafür war sicher sein äußerst konfliktreiches Verhältnis zu seinem Vater: Dieser, ein biederer Beamter der Österreichischen Bundesgebäudeverwaltung, meinte es auf seine Art sicher gut mit dem musikbesessenen Sohn - aber er hatte absolut kein Verständnis für dessen zweifelhafte berufliche Ambitionen. Im Absingen wild-rhythmischer Negermusik konnte er beim besten Willen keine akzeptablen Zukunftsperspektiven für sein einziges Kind erkennen - also drängte er sehr massiv auf eine solide Ausbildung mit intakten Berufschancen.


Leicht gehabt hatten es die Zeliborskys ja wirklich nicht mit ihrem missratenen Sprössling: Als ich ihn kennen lernte, war er schon von mindestens drei Schulen geflogen. Der extrem fordernden Kombination aus notorischem Zuspätkommen, aggressiver Insubordination und provokantem Desinteresse am Unterrichtsstoff zeigten sich eben nur die allerwenigsten Lehrkräfte gewachsen. Aber natürlich hatten sie auch keine Ahnung, dass der Gustl aus gutem Grund nur geringe Aufmerksamkeit für schulische Belange erübrigen konnte: Schließlich nahm ja das Studium des Blues fast seine gesamte Zeit und Kraft in Anspruch!


Mit fast religiöser Hingabe widmete er sich dem Erlernen jener ganz spezifischen und sehr differenzierten Gitarrenstile, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in den verschiedenen Regionen der amerikanischen Südstaaten entstanden waren. Akribisch legte er Transkriptionen alter Schellack-Aufnahmen an, die für das ungeschulte Ohr eines Laien hauptsächlich aus Rauschen und Knistern zu bestehen schienen. In gewisser Weise war er darin seinem ebenso peniblen Beamten-Vater gar nicht so unähnlich - obwohl ihm das damals natürlich keiner hätte sagen dürfen.


Unvergesslich geblieben ist mir eine sehr bezeichnende Szene aus jenen Tagen: Wir beide hockten schon seit Stunden in Gustl's Zimmer vor dem Plattenspieler und versuchten durch ständig wiederholtes Anhören des "Mississippi Blues" von Willie Brown den kaum verständlichen Text des Songs zu entschlüsseln. Zwar hatte sich der Gustl schon selbst einen veritablen Südstaaten-Akzent zugelegt, aber gewisse Slang-Ausdrücke, mit rauer Stimme vorgetragen und in miserabler Tonqualität wiedergegeben, stellten sogar seine fundierten Kenntnisse auf eine harte Probe. Gerade als er aber den Tonarm des Plattenspielers zum x-ten Mal zurück zum Anfang des Liedes setzen wollte, wurde die Zimmertür unsanft aufgestoßen und im Türrahmen erschien die füllige Figur Herrn Zeliborsky's, eher unvorteilhaft verpackt in einem eng anliegenden türkisfarbenen Frotteé-Pyjama.


"Is da jetzt vielleicht bald amal a Ruah?!" herrschte er seinen Sohn mit vor Empörung bebender Stimme an. "Da stellt's einem ja die Zech'nnäg'l auf bei dem ewichen Gejeier!"


Diese inkompetente Beleidigung eines seiner größten Idole konnte der Gustl natürlich nicht so einfach auf sich beruhen lassen: "Geh bitte, red net, du host jo überhaupt ka Ahnung!"


Mehr hatte ihm nicht gefehlt. Das ohnedies schon schwer gereizte Familienoberhaupt tat einen cholerischen Brüller: "Rotzbua, goscherter, na wart, dir werd' i's geben!" und enterte kugelblitzartig das Gemach seines unbotmäßigen Sprösslings. Der ihm zugedachten Tachtel entging Gustl zwar durch ein infolge jahrelanger Übung sehr gekonntes Ausweichmanöver. Stattdessen aber kollidierte die strafende väterliche Hand mit dem Tonarm des Plattenspielers und es ertönte ein schmerzvoller Aufschrei Willie Brown's, der mit einem hässlichen Kratzgeräusch verendete.


Mit der düsteren Drohung: "Und wann jetzt net glei a Ruah is... !" trat daraufhin Vater Zeliborsky den Rückzug an. Zurück blieben ein arg zerkratztes Exemplar der äußerst seltenen LP "Cream Of The Delta Blues Singers" und ein darob noch ärger geknickter Gustl, dem eine bittere Mischung aus Wut, Demütigung und Trauer die Tränen in die Augen trieb. Mit einem Wort: Der Gustl hatte den Blues!

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